Gestern war ich in der Buchhandlung Vatterodt: meine Kollegin Lisa Oesterheld las – zusammen mit ihrem Mann, begleitet von Rainer Wördemann – aus ihrem Gedichtband „Hymne ans Leben“. Daraus: Dichten ¶ Die Worte ab– ¶ schälen bis zum Kern, ¶ der schnörkellos ¶ glänzt.
Beate Steger beschreibt in einem Beitrag auf katholisch.de unter dem Titel Bachkantate, „Stille Nacht“ und Gospel-Song: Über das Singen ihre biografischen Erfahrungen mit Singen und insbesondere Chorsingen. Nach anfänglicher Skepsis und desaströsen frühen Erfahrungen ist sie dann doch zum Singen gekommen und fordert am Ende die Leser/innen mit einem flammenden Plädoyer auf, es ihr gleichzutun. Das kenne ich auch: Nicht wenige derer, die in den letzten Jahren erst nach mehrfacher Kontaktaufnahme und Nachfrage in den Chor kamen, sagten mir später, daß sie diesen Schritt nicht nur nicht bereuten, sondern schon viel eher hätten tun sollen. Nun ja.
Aber nicht nur im Satz: „In kirchlichen Chören sind vorwiegend religiöse Lieder im Repertoire“, auch im alltäglichen Gespräch über Musik (beispielsweise mit Brautleuten über Orgelliteratur) stolpere ich über eine sprachliche Verengung: gibt es denn nur „Lieder“? In den letzten zwanzig Jahren habe ich vielleicht auch das eine oder andere Chorlied einstudiert, der weitaus größere Teil des Repertoires aber waren andere Gesänge, Madrigale, Motetten, Fugen, Mess-Vertonungen, die eben keine Lieder waren. Im eigentlichen Sinn wird der zitierte Satz weitgehend sogar sachlich falsch sein - und das ist doch keine musikalische Spitzfindigkeit.
Offensichtlich nimmt die musikalische Allgemeinbildung in einem Maße ab, daß sogar musikalische Insider (wie es Chorsänger/innen beispielsweise ja sind) nicht mehr mit korrekten Begriffen über Musik sprechen können oder es aus didaktischen Gründen nicht tun wollen.
Heute gab es ein tolles Konzert mit Uwe Komischke, Trompete, und Thorsten Andreas Pech, Orgel, in St. Remigius Viersen. Beim anschließenden netten Beisammensein – u.a. mit Remigiuskantor Michael Park – dann interessante Gespräche über Kirchenmusik im Allgemeinen und Besonderen im Mokka in Viersen.
Bei der heutigen Jahrestagung des Musikland Niedersachsen wurden – neben dem üblichen offensiven Netzwerken – intensiv Aspekte der Musikvermittlung diskutiert: Lydia Vroegindeweij stellte ihr mittlerweile weltweit praktiziertes Konzept einer Baukasten-Orgel („Doe-Orgel“) und dessen Einbettung in schulkompatible Formate vor.
Ein weiteres, teils kontrovers diskutiertes Thema war Musik an Dritten Orten: „Ort³ neu denken”, und zwar insbesondere vor dem Hintergrund der Digitalisierung neu denken. Ein spannendes Thema; Bastian Lange nannte in seinem Impulsreferat in Erweiterung des Dritter-Ort-Begriffs unter anderen die Kriterien „Selbstwirksamkeit des eigenen Handelns“, „Realbezüge zum (medialisierten) Alltag“ und „Haptische Kontexte“. Mir – als Kirchenmusiker – stellte sich natürlich umso mehr die Frage: inwiefern ist Kirche ein so verstandener Dritter Ort, inwiefern muss sie es sein oder kann sie es überhaupt sein. Die Chancen der Musik hierbei sind unübersehbar.
Oldenburg, Münster, Maastricht, Düsseldorf, Hannover, Münster, Herne in nicht einmal einer Woche. Ich habe sowohl dienstlich, als auch privat momentan eine erlebnis– und reiseintensive Zeit. Leider gibt es nicht viel Schlechtes aus dem vorwurfsvollen Repertoire von Kritikern der Deutschen Bahn, das ich nicht bestätigen könnte. Bemüht, auf den Dienstwagen zugunsten Öffentlicher Verkehrsmittel möglichst oft zu verzichten, ist es bedrückend zu sehen, daß die Bahn nicht mal annähernd eine Alternative zum PKW darstellt.
Unter dem Titel „Von Palestrina bis Pärt oder auch: Vom singenden Gottesvolk“ schreibt Annika Schmitz in einem Essay für das Theologie-Blog y-nachten.de viel Wahres weniger über die Außenwirkung von Kirchenchören, als über deren Binnenverhältnis. Dieses kann aus meiner Erfahrung oft entrückende Momente enthalten, und es ist heilsam, mal in diese Thematik einzudringen. Jeder, der die im Text beschriebene Abhängigkeiten zu Ende denkt (die Sänger sind vom Dirigenten ebenso abhängig wie dieser von jenen) und sich vorstellt, was ein solches Tun (wenn es erfolgreich ist) psychologisch bedeutet, mag ermessen, wie tief das Verhältnis der Chormitglieder zu– und untereinander sein kann.
„Kirchenchöre kommen ihrem Verkündigungsauftrag ja nicht lediglich im Rahmen der Liturgie nach, sondern sie gestalten aktiv das Leben ihrer SängerInnen.“ Und das über Jahre hinweg, oft während eines ganzen Lebens. Mich rührt die Erkenntnis, daß das Leben „meiner“ SängerInnen passierte, während ich mit ihnen das Deutsche Requiem, Bachs Passionen oder das Weihnachtsoratorium, Karfreitage, Osternächte und Christmetten einstudierte, sie haben sich verliebt, geheiratet, Kinder bekommen oder aber auch liebe Menschen verloren, und daß diese Aufführungen zugleich selbst Höhe– oder Tiefpunkte in ihrem Leben darstellten. Chorsingen generiert mithin so etwas wie einen Lebenssoundtrack, eng verwoben mit Einzelschicksalen, es prägt die Zeit über Jahres– und Lebenszyklen.
Aber das ist nur ein Aspekt des sehr lesenswerten Beitrags.
Zwei aus meiner Sicht sehr überzeugende Orgelneubauten der letzten Jahre in der Rhein-Neckar-Region: die Seifert-Orgel in St. Aegidius Seckenheim (Mannheim), erbaut 2017 mit 32 Registern auf 2 Manualen und Pedal zum einen, die neue Orgel der „Kleinen Kirche“ in Karlsruhe, erbaut 2019 von Georg Lenter mit 23 Registern, ebenfalls auf zwei Manualen mit Pedal, zum anderen.
Die Seckenheimer Orgel huldigt süddeutschen Vorstellungen aus dem späten 18. Jahrhundert. Neben den von mir ohnehin geschätzten Standards wie Hängetrakturen und auf Länge geschnittene Pfeifen wird dies am deutlichsten in Disposition und Intonation, die zum Teil sehr extreme und reizvolle Einschwinggeräusche zulässt, oder, wie der Orgelbauer vermerkt: er verzichte bei den Streicherstimmen auf Ansprachehilfen „um eine natürliche, dabei aber in unterschiedlichen Graden fragile Tonentwicklung ermöglichen zu können,“ er habe eine äußerst sparsame Kernbehandlung praktiziert, „um eine breite Obertonentwicklung zu ermöglichen, die eine gesunde Geräuschhaftigkeit der Pfeife voraussetzt“. Die Aufzugsfedern für die Keilbälge sollten per Lichtschranke gesteuert werden, und ich frage mich (wie auch in Bezug auf die Register-Doppeltraktur), warum bei solch einer originellen und handwerklich hochstehenden Orgel überhaupt ästhetisch-bruchhaft eine nichtmechanische Lösung ins Auge gefasst wurde. Bei meinem Besuch im September 2019 waren die Lichtschranken auch bereits wieder abgebaut worden - sie haben offensichtlich nicht funktioniert.
Die Orgel der „Kleinen Kirche“ in Karlsruhe ist auf ihre Art und Weise ähnlich extrem: hier war die orgelbauliche Klanglichkeit der Mitte des 19. Jahrhunderts Vorbild (Disposition). Sehr nachvollziehbar und gut gelöst: eine mechanische Kegellade als Spieltraktur, die sich sehr angenehm spielen lässt. Eine delikate Besonderheit ist die durchschlagende Phyharmonika in 16′- und 8′-Lage, mittels Fußschweller dynamisch abstufbar, sie füllt den Raum mit einer ganz eigenen Charakteristik. Diskussionswürdig finde ich hier das Fehlen einer größeren Flöte in der Disposition (bei phantastisch luxuriöser Ausstattung mit unterschiedlichen Streicherstimmen), außerdem wäre es sicher noch bereichernd, die weitere Zunge, die Klarinette, aufschlagend durchzuführen. Dennoch insgesamt eine wirklich gelungene Orgel, die den Besuch lohnt.
Mit Erleichterung lese ich, daß das elektronische Orgelimitat, das im Petersdom im letzten Jahr angeschafft worden war, nun offensichtlich mithilfe der Petition Appello per l’organo a canne nella Basilica di San Pietro in Vaticano auf Change.org wieder entfernt worden ist: L’Allen è stato rimosso.
„Die Pfeifenorgel soll in der lateinischen Kirche als traditionelles Musikinstrument in hohen Ehren gehalten werden; denn ihr Klang vermag den Glanz der kirchlichen Zeremonien wunderbar zu steigern und die Herzen mächtig zu Gott und zum Himmel emporzuheben“, sagt das Zweite Vatikanische Konzil in seiner Liturgiekonstitution (SC 120).
„Es ist schön, daran zu denken, daß jemand im Weißen Haus sitzt, der Gedichte liest und Musik anhört“, sagteJessye Norman, die gestern verstarb, und meinte damit Präsident Obama. Und es ist bedrückend, so möchte ich hinzufügen, davon ausgehen zu müssen, daß der aktuelle Präsident es nicht tut.
Nach dem Gottesdienst am Sonntag, einem gemeinsamen Frühstück mit dem Pfarrhaus-Team und dem letzten Koordinationstreffen mit den Viersener Kollegen und meinem Nachfolger Michael Park habe ich nun endgültig von der Pfarrei St. Remigius Abschied genommen. Ich hatte in den letzten 20 Jahren, in denen ich in Viersen tätig sein durfte, unzählige bereichernde, mich tief bewegende menschliche und musikalische Begegnungen und bin den vielen Mitstreitern und Gesprächspartnern zu großem Dank verpflichtet. Es war eine gute Zeit, die mich dankbar zurücklässt.
Nun habe ich noch etwa zwei Wochen, und dann geht es im Bischöflich Münsterschen Offizialat los. Am ersten Juli beginne ich meine Referententätigkeit dort, eine Aufgabe, die mich sehr reizt und auf die ich mich sehr freue.
Froh, trotz des umzugsbedingten Regelbedarfs noch Kulturelles auf der Agenda zu haben, berührte mich bei einem erneuten Besuch im Kolumbamuseum (jenseits meiner Enttäuschung, daß das mir biografisch wichtige Kunstwerk „The Drowned and the Saved“ von Richard Serra dort derzeit nicht zugänglich ist) neben der großartigen Architektur Peter Zumthors die in der aktuellen Ausstellung „Pas de deux“ befindliche motivisch ungeheuer mächtige Gegenüberstellung eines antiken Herakles-Kopfes mit Peter Tollens monochromem „40/1989“ (rot auf Leinwand) und der um 1480 entstandenen Lindenholzplastik Christus in der Rast eines unbekannten Künstlers vom Oberrhein. Was für eine Kombination!
Dann, am Sonntag, die Inbetriebnahme der neuen Martin-Scholz-Orgel in St. Clemens in Bergisch-Gladbach, die ich für sehr gelungen halte. Kleine Orgeln können großen Spaß machen, wenn sie gut sind, und diese Orgel ist gut.
Schließlich fesselte mich eine Mithras-Stele im LVR-Museum in Bonn, deren Wirkung im von innen beleuchteten Zustand faszinierend gewesen sein muss. Ich versuche mir vorzustellen, wie sie wohl in unversehrtem Zustand ausgesehen hat.
Klais-Orgel in St. Josef Viersen, linke Seite des Spieltischs
Letzte Vorbereitungen für das Orgelimprovisationskonzert mit Elmar Lehnen auf der Klaisorgel in St. Josef heute Abend. Die alte Dame (*1935) ächzt etwas in den Steuerungselementen, aber präsentiert sich unverändert im historischen Klanggewand auf dem Scheitelpunkt zwischen romantischen und frühen „orgelbewegten“ Klangvorstellungen - das macht Spaß.
Es kann nicht sein, dass man es nicht wagt, die Kirche an ihren unterschiedlichsten pastoralen Orten mit der musikalischen Kompetenz zu überraschen, die heutige Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker besitzen. Dazu gehört auch erziehen, bilden, konfrontieren.
Freilich gehört dann strukturell auch dazu, dies den Kolleginnen und Kollegen zu gestatten, zu ermöglichen.
Nach den letzten Ostergottesdiensten in St. Remigius geht es mit Riesenschritten auf meinen Abschied aus Viersen am 16. Juni zu. Derzeit packe und sortiere ich Noten jeder Art und räume die entsprechenden Schränke. Auch meine Nachfolge ist inzwischen geklärt, und mich erleichtert, daß es keine Vakanz geben wird: allerherzlichsten Glückwünsche an und für Michael Park, der ab Juli für die Kirchenmusik in Viersen verantwortlich zeichnen wird.
Heute gab es neben den Orchesterproben für die beiden Ostersonntagshochämter auch letzte Vorbereitungen für das Konzert morgen: Cembalotransport und -stimmen, anschließend Probe. Aufbau im Seitenschiff der Remigiuskirche.
Amüsiert von Hannah SchmidtsBeitrag für das VAN-Magazin (zum Teil äußerst zutreffend und insgesamt lesenswert, aber diskussionswürdig; ich kann die Angemessenheit von Kirchenmusik nicht am Instrument und auch nicht am Stil festmachen) - stolpere ich bei der wohl auch meistzitierten Stelle: „Gott ist nicht cool (was hätte er auch davon?) und die Kirche wird es wohl auch nicht mehr werden. Wer beides mag, ist heute ein Nerd, und das ist okay. Gott ist auch ohne Orgel und ohne Kirche Gott. Und Orgel ist auch ohne Gott und Kirche großartig. Nur die Kirche, denke ich, die braucht irgendwie beides“.
Was um Himmels willen meint die Autorin mit dem Satz „Gott ist nicht cool“? Den ersten trivialen und vermutlich zutreffenden Deutungsimpuls bewusst ignorierend, gerate ich ins Grübeln. Unsubstanziiert leichtfertige Aussagen über Gott bergen immer die Gefahr der Vereinnahmung (hier beispielhaft „Deus lo vult“ anzuführen wäre eine allzu große Kanone für diesen Spatz), und eine singuläre apophatische Aussage ist ziemlich nichtssagend. Negative Theologie ist eben sehr viel mehr, als bloß zu formulieren, was Gott nicht ist.
Und „cool“? Ausgerechnet „cool“ - im Wortsinn? Befremdet von der Vorstellung eines unbewegt-teilnahmslosen, ataraktischen Gottes lese ich nach und muss seufzend erkennen, dass zumindest die Kirchenväter (Klemens von Alexandrien, Origenes, Athanasius) voller Verwerfungen und Komplexität diesbezüglich im Grunde doch von einer Apatheia Gottes ausgehen: Gott scheint cool zu sein, erschreckend und meinen Widerspruch herausfordernd cool.
Es bedarf nicht visueller Glattheit, auch nicht jener Hochglanzästhetik, die die Werbeindustrie bis zum Überdruss nutzt, ganz im Gegenteil. Es geht auch nicht um ein erwartetes Happy End, selbstverständlich nicht, sondern eher vielleicht um Erlösung. Aber selbst, wenn die nicht sichtbar wird: damit kann ich leben (in Bachs Musik ist sie ubiquitär, oder, wie es auf der Webseite des Collegium Vocale Gent hierzu heißt: „There are no answers. Only Bach’s music can alleviate the pain“). Sichtbarmachung ist ein Unterfangen, das mich anspricht, und kulturelle Verheutigung sowieso. Beides gleichzeitig im Kontext von Alter Musik kann nicht ohne Stilbrüche gehen, also auch insofern kein Problem.
Ich habe daher lange überlegt, was genau es ist, das mich an dem von Philippe Herreweghe für sein aktuelles Projekt verwandten Film „Lebenslicht - eine Familiengeschichte in Zeiten der Verzweiflung“ von Clara Pons stört. Lichtführung und Bildsprache zur heutigen Unbehaustheit und Tristesse jedenfalls sind es nicht. Nein, es ist das Schablonenhafte und das Abgenutzte der Settings darin. Auch wenn es schwer sein dürfte, einen Film zu finden, der der (vom Collegium Vocale Gent großartig interpretierten) Musik Bachs gegenüber kein künstlerisches Gefälle aufwiese: es sind dieser Musik nun wirklich unwürdige Stereotype, wenn zum x-ten Male ein Protagonist sinnierend allein durch den Wald schreitet. Nachdenkliches Starren ins Leere. Regen, Nacht, Tankstelle. In die Höhe steigende Vögel, einsamer See. Das ist Perpetuierung verbrauchter Bildklischees. Eine verpasste Chance, schade.
Dieses Bild von der Montage der Pels-&-van-Leuven-Orgel aus der Konradskapelle in der Slowakei erreichte mich heute, verbunden mit einer Einladung zur Einweihung der Orgel.
Nach längerer Zeit habe ich mich mal wieder an einem One-Pager versucht, und prompt stolperte ich über die (ja gar nicht mehr so) neue Syntax von Angular. Wie schnell veralten doch Webdesign-Skills. Nach wie vor bin ich froh, Musiker zu sein und als solcher auch arbeiten zu können.
In der ersten musica-sacra-Ausgabe des Jahres erschien heute die Ausschreibung für meine Nachfolge in St. Remigius. Wenn ich das so lese und auch mit der Ausschreibung vergleiche, auf die ich mich vor zwanzig Jahren beworben hatte, merke ich, daß sich für Kirchenmusiker*innen nicht alles zum Schlechten verändert hat — jedenfalls nicht in Viersen.
Unterdessen widme ich mich phasenweise verstärkt der Musik Girolamo Frescobaldis, auf den unterschiedlichen achtfüßigen Principalen der Remigiuskirche ist das ein beglückender Genuss.
Im Nachgang des erwähnten Workshop-Tags hatte ich nach vielen eigentlich wirklich erfreulichen Gesprächen diesbezüglich – insbesondere mit den Gemeinde- und Pastoralreferenten der Pfarrei – die durchaus bittere Erkenntnis, dass die Frage nach künstlerischer Beschaffenheit, nach der nicht zwangsläufig schon wertenden „Qualität“ von Musikstücken, auch bei gutem Willen oft scheitert – aus einer Vielzahl von Gründen.
Nach einem Trip am Freitag nach Vechta, um mit Stefan Decker und Dominik Blum einige Modalitäten für meinen Dienstantritt dort zu besprechen, überreichte mir letzterer das bemerkenswerte Reclam-Bändchen „Die Vereindeutigung der Welt“ von Thomas Bauer. Darin beschäftigt sich der Autor mit der signifikanten Zunahme der gesellschaftlichen und kulturellen Ambiguitätsintoleranz. Ich erkannte beim Lesen, dass ich etliches daraus schon kannte – in meiner Social-Media-Blase war es vorwiegend von Theologen besprochen worden (insbesondere der Satz: „Ein guter Indikator für die Ambiguitätstoleranz westeuropäischer Gesellschaften ist der jeweilige Zustand der katholischen Kirche, denn die katholische Kirche ist überraschend ambiguitätstolerant“).
Für mich als Musiker finde ich – vor dem Hintergrund des erwähnten Workshoptags und der eingangs umrissenen Kommunikationsproblematik – folgende Passagen aus dem Büchlein zitierenswert (es geht um Musik): Wenn sich Qualitätsunterschiede nicht mit eindeutigen Kriterien feststellen lassen, dann erscheint es einfacher zu sein zu sagen, es gebe gar keine Qualitätsunterschiede, als über nicht leicht zu präzisierende, aber dennoch vorhandene Qualitätsunterschiede nachzudenken. Hier dagegen sei festgehalten, dass es Qualitätsunterschiede gibt, daß etwa ein Schlager-Tralala nicht dieselbe Qualität hat, wie der eingangs erwähnte Punksong von Nina Hagen, und dass beide wiederum eine andere Qualität haben als etwa ein Streichquartett von Alban Berg. […] Neben der Religion bergen die Künste das größte Ambiguitätspotential. Die Gesellschaft wird davon aber nur profitieren können, wenn der Ambiguitätsvernichtung durch ihre Trivialisierung im marktradikalen Kapitalismus Einhalt geboten wird.
Mit Sorge blicke ich im Moment auf die Orgeln der Pfarrei: die relative Luftfeuchte ist in den Kirchen heizungsbedingt derzeit ohnehin am unteren Limit, und der Schnee verschärft diese Lage noch. Heute habe ich einen Wert von 40% registriert, das ist zu trocken für die Orgeln.