Derzeit drängt sich mir beim Blick in den Spiegel häufiger das Shakespeare-Zitat in den Sinn: „Man proud man ¶ dressed in a little brief authority ¶ most ignorant of what he’s most assured.“
Ich bin allen Mitwirkenden des Konzerts gestern außerordentlich dankbar. Allen voran Chor und Solisten, aber auch dem Orchester unter Vermittlung der seit Jahren großartig zuverlässigen Ania Kaiser.
Mit der Aufführung endete für den Chor eine ungewöhnlich lange, intensive Vorbereitung. Denn ursprünglich hatten wir das Konzert für das Remigiusfest im Oktober 2018 angesetzt, die vorgezogene Renovierung der Remigiuskirche hatte aber die Verschiebung notwendig gemacht. Dabei habe ich insbesondere Mozarts Vesperae solennes de confessore KV 339 – wie es mir häufig mit den aktuellen Chorstücken ergeht – im Laufe der Vorbereitung noch mehr zu schätzen gelernt, als ich es ohnehin schon tat. Ein Werk, das exemplarisch zeigt, wie Musik satzübergreifend gedacht, komponiert wird. Wohlklang, Ebenmaß und Lieblichkeit des berühmten und oft solitär aufgeführten Laudate dominum beispielsweise gewinnen eine ungleich größere Tiefe, wenn es im Kontext der anderen Psalmen erklingt, konkret: nach dem herben, schon von den Zeitgenossen sicher als archaisch empfundenen Charme der nach harmonisch recht statischen Passagen über eine geradezu eruptive Amen-Sequenz in einen terzlos-leeren d-Klang mündenden Laudate-pueri-Fuge.
Es gab eine Reihe von Hürden für den Chor. Neben den üblichen musikalischen Klippen ist hier unbedingt der Text zu nennen. Er sorgt wegen der lateinischen Sprache für einen subjektiv nur mittelbaren inhaltlichen Text-Ton-Bezug, und es handelt sich obendrein über weite Strecken um einen dem vornehmlich mit Ordinariumsvertonungen vertrauten Chorsänger eher fremden Text. Musikalisch-ideell vorwiegend im 17. Jahrhundert verwurzelt, ist das Mozart-Repertoire des Remigiuschores im Vergleich zu vielen anderen Kirchenchören verhältnismäßig schmal. Als größeres Projekt hatten wir bisher lediglich das Requiem im Programm. Es war also viel zu tun und ein hartes Stück Arbeit.
Mit diesem Konzert ist auch die Reihe der Chorprojekte in St. Remigius unter meiner Leitung beendet. Der Chor hatte deshalb einen an das Konzert anschließenden Empfang vorbereitet, und es gab ein Ständchen der Instrumentalisten; beides hat mich sehr gerührt und erfreut.
Während der Proben mit unserer Konzertmeisterin Chisato kamen mir, mittels ebenso diplomatischer wie klarer Ansagen um angenehme Arbeitsatmosphäre und musikalische Qualität gleichermaßen ringend, wiederholt Aussagen eines Interviews in den Sinn, das sie zusammen mit dem estländischen GMD Mihkel Kütson an Silvester der Rheinischen Post gegeben hatte und das mich amüsiert hat. Darin zeigt sie sich „überrascht, wie direkt die Menschen hier sind“, und Kütson stellt die These auf: „Ein niederrheinisches Ur-Gestein wäre ein schlechter Orchesterleiter“. Nun, ich bin zwar ganz sicher kein Urgestein, aber durch und durch niederrheinisch (oder, mit Worten Hanns Dieter Hüschs: Meine Musik ist niederrheinisch ¶ Der Niederrhein ist meine Musik ¶ All meine Religiosität ¶ ist niederrheinisch ¶ Aber wenn du mich fragst Warum ¶ könnt ich als schwarzweiße Kuh ¶ auf den Feldern um Kerken liegen ¶ und die Aussage verweigern*). Daher möchte ich – völlig jenseits der Frage nach der Qualität meiner Leitung – zum Ausdruck bringen, wie bewegend für mich gerade die Tatsache ist, daß wir gestern in Chor und Orchester Vertreter einer Vielzahl von Nationen und regional reprägter Mentalitäten künstlerisch vereint sahen. Die Musik verbindet uns - wirklich.
Endspurt: Der Remigiuschor befindet sich in der letzten Phase der Vorbereitung auf die Vespermusik am 13. Januar. Es gibt daher in diesem Jahr keine Weihnachtspause, heute schon ist die nächste Probe.
Heute beende ich das Jahr liturgisch mit Bachs großem Es-Dur-Präludium BWV 552,1, das sich in seiner französischen Ouvertüren-Idiomatik sehr gut mit der ebenfalls französischen und im Kern eben barocken Klangcharakteristik der Woehl-Orgel darstellen läßt. Die Grands Jeux - ich spiele sie stiltypisch ohne 16′ im Manual - sind von überwältigender physischer Präsenz, und ich meine damit nicht ihre Lautstärke.
Nachdem gestern die Rheinische Post über meinen Weggang aus Viersen im kommenden Jahr berichtet hat, mehren sich bei mir die An- und Nachfragen diesbezüglich: ich werde noch eine Weile hier sein.
Heute sind wir, den letzten freien Tag nach Weihnachten nutzend, im niederländischen Arcen eine Weile recht nachdenklich an der gemächlichen und derzeit trüben Maas entlanggegangen, haben uns dabei im nieselnden Regen den kalten Wind um die Nase wehen lassen und im Anschluss ein köstlich heißes Koffietje in Landesmanier genossen.
Beim Sortieren von Photos aus dem zu Ende gehenden Jahr stieß ich auf dieses vom 30. November: Probetragen eines Lorbeerkranzes für den in diesem Jahr zu ehrenden Bernd Korischem, begleitet von einer ebenfalls für diesen Zweck in dithyrambischen Daktylen verfassten „hypotaktischen Ode“ von Sabine Ley.
Ein Blick in die entsprechenden Facebook-Statistiken verrät, daß der auf der Pfarrei-Seite veröffentlichte Post mit der Ausschreibung für meine Nachfolge in St. Remigius offensichtlich mit Abstand die größte Reichweite aller Posts der Pfarre erreicht. Das überrascht und erleichtert mich. Kirchenmusiker werden heute nicht mehr viele - es gibt viel mehr Stellen als Bewerber, und die Gründe dafür sind (auch wenn sich vieles in den letzten Jahren getan hat) leider ebenso offensichtlich wie nachvollziehbar. Ich halte die Stelle in St. Remigius dennoch für in vielfacher Hinsicht attraktiv und bin daher guter Dinge, daß sich ein/e kompetente/r Kollege/in finden wird.
Arbeitsreiche Tage derzeit, wie könnte es auch an Weihnachten anders sein?
Nach der Wiedereröffnung der Remigiuskirche am letzten Sonntag kann ich auch wieder die geliebte Woehlorgel in Betrieb nehmen. Piroye („La Béatitude“ - eine Entdeckung!) klingt auf ihr genau so prächtig wie Frank Martins Passacaille mystisch.
Letztere gab, während ich sie übte, einer Zuhörerin Anlass zur Beschwerde: ob ich nicht Adventlicheres spielen könne? Mir ist klar, dass dieses Stück hohe Anforderungen an die Rezeptionsfähigkeit stellt, aber je länger ich drüber nachdenke, desto adventlicher finde ich genau dieses Stück.
Sehr aufgeräumt, das neue Look & Feel der renovierten Remigiuskirche. Die betonten gotischen Bögen vermitteln stärker als zuvor die Höhe des Raumes - die ausgewogenen Proportionen des Gehäuses der Woehl-Orgel kommen da - so meine ich - besser zur Geltung als zuvor.
Nicht weil es ein Fehler wäre, der dem lieben Kollegen Stefan Knauer beim Schreiben des Programms zu meiner Marktmusik in Erkelenz vom letzten Samstag unterlaufen ist, erwähne ich ihn, sondern weil er so charmant ist: Da steht nämlich zum zweiten Satz der Bachsonate „Advent“, und ich frage mich trotz des „Adagio“ aus meiner Partitur, ob das eigentlich so falsch ist.
Heute konnte ich Gäste aus der Slowakei in St. Remigius begrüßen: Mein evangelischer Kollege Martin Melišík war zusammen mit Ľubomír Marcina, einem weiteren Mitarbeiter der Stredisko evanjelickej diakonie Košeca und mir in der Konradskapelle am Grenzweg. Wir haben die Pels-&-van-Leuven-Orgel dort besichtigt, die die Pfarrgemeinde St. Remigius gerne veräußern möchte.
Mitte nächsten Jahres werde ich St. Remigius in Viersen verlassen und eine Stelle als Referent für Kirchenmusik im Bischöflich Münsterschen Offizialat antreten. Mich reizt diese spannende neue Aufgabe.
Ich hatte in den letzten 20 Jahren, in denen ich in Viersen tätig sein durfte, unzählige bereichernde, mich tief bewegende menschliche und musikalische Begegnungen und bin den vielen Mitstreitern und Gesprächspartnern zu großem Dank verpflichtet. Der Weggang wird mir sehr schwerfallen.
Heute gab es in Willich den angekündigten regionalen Chortag mit Regionalkantorin Friederike Braun und Kompositionen englischer Komponisten.
Frierend, mich wegen des recht unvermittelten Wechsels von Sommer zu Winter um Herbstgefühle betrogen fühlend, kommt mir, Entscheidungen wägend, ein Wort Hanns Dieter Hüschs in den Sinn:
Natürlich ist mir vieles heute fremd ¶ Die Städte sind nicht mehr so klein ¶ Die Menschen sind nicht mehr so leise ¶ Im Krankenbett der alte Rhein ¶ Ich sitze in Cafés herum ¶ und denke an Vergangenheiten ¶ Ich zieh den Hut und grüße stumm ¶ Die Träumer und die Todgeweihten.
Ich war heute mit Patrick Kampf an der Pels & van Leuven-Orgel in St. Konrad, um Klangproben für den Verkauf herzustellen. Ein toller Klang, und die Technik aus den 70er Jahren dokumentiert, wie weit damals der niederländische Orgelbau dem deutschen in dieser Hinsicht überlegen war.
Heute habe ich in der Pfarrei eine Reihe Mitsingemöglichkeiten veröffentlicht. Eine Veranstaltungsreihe bis Februar 2019. Angesprochen sind Interessierte aller Altersgruppen. Notenkenntnisse und Chorerfahrung sind nicht zwingend erforderlich. Wir freuen uns über jede und jeden, der Spaß am gemeinsamen Singen hat.
Ein sehr hörenswertes Interview im Deutschlandfunk zum Thema Musikunterricht an Schulen: Ortwin Nimczik bestätigt meinen Eindruck über die desolate Situation diesbezüglich, gerade in den Grundschulen.
Heute ist es meine traurige Pflicht, die Exequien für den langjährigen Sänger unseres Chores und der Choralschola Rudolf Förster zu gestalten. Er war nicht nur mit seiner Singstimme sondern auch seiner Querflöte der musica sacra an St. Remigius über Jahrzehnte kompetent verbunden. Einer, dem das Graduale Romanum aus lebendiger Praxis vollständig vertraut war. Wir verlieren in ihm einen verlässlichen Partner und sehr liebenswerten Freund.
Bereichert kehre ich heute aus Dresden zurück: bewegend war die Begegnung mit einem weißrussischen Paar und einer Tschechin, die in der Gastronomie unserer Unterkunft angestellt sind. Sie gaben uns einen so erschütternden Einblick in die Realität derartiger Anstellungsverhältnisse, dass es mich fast wundert, wie sie uns Gästen gegenüber dennoch zuvorkommend und sympathisch agieren können. Umso erleichterter war ich, dass wir ins Gespräch kamen, dass das Gespräch an Tiefe gewann und sie die Launen unserer Gruppe offensichtlich nicht nur ertrugen, sondern sie uns - und wir sie - wirklich wertschätzten.
Ich bin mit dem Freitagschor auf dem Weg nach Dresden, wo wir vier Tage verbringen werden. Schon mehrfach war ich dort - eigentlich eine tolle Stadt. Gruselig daher zu sehen, was zuletzt dort passiert: Elbflorenz, quo vadis?