Gestern stach mir dieses BildWilli Kaisers ins Auge. Er ist einer meiner Vorgänger im Rintgen (je mehr Pfarreien fusioniert werden, und je größer das Gebiet meiner Tätigkeit mithin wird, desto zahlreicher sind auch meine Vorgänger).
Ich erinnere mich gut: es war die Zeit kurz nachdem das Kantorat der Josephskirche auf mich fiel, als eine Frau anrief und erläuterte, sie sei „die Tochter von Kaiser Wilhelm“. Ich musste – verwirrt durch die hierzulande heute nicht mehr übliche Namensinversion – schwer an mich halten, nicht unangemessen frech zu entgegnen, daß mein Vater der Kaiser von China sei.
Ihre Sorge galt der viermanualigen Klais-Orgel der heutigen Grabeskirche, die im Jahre 1935, also in der Amtszeit ihres Vaters, erbaut worden war, und deren Erhalt sie nun irrtümlicherweise gefährdet wähnte. Dabei haben wir sie wenig später komplett restaurieren lassen, so daß sie zu meiner großen Freude bis heute treu und substanziell vollkommen unangetastet ihren Dienst tut.
Es gibt verhältnismäßig wenige Klais-Instrumente aus dieser Zeit – am Scheitelpunkt zwischen romantischem und orgelbewegtem, „neobarockem“ Orgelbau. Nicht, daß ich ein großer Freund von Klais-Orgeln im allgemeinen oder der Ästhetik der Orgelbewegung wäre - es ist der unverfälschte dokumentarische Wert, den dieses Instrument auszeichnet. Es ist darum unbedingt erhaltenswert. Von den auf der Opusliste von Klais aufgeführten Klais-Orgeln in (Alt-)Viersen ist heute nur noch diejenige in St. Joseph erhalten.
Aus aktuellem Anlass wandte sich Serge Schoonbroodt gestern leidenschaftlich gegen digitale Kirchenorgeln („…vous savez, ce bidule que des abrutis ont installé à St. Pierre de Rome“) und diejenigen Kollegen, die sich ihrer öffentlich bedienen. Ich schließe mich dem Folgenden an:
Quand on enregistre et publie des vidéos du grand répertoire sur ces engins ou quand on fait des récitals sur ces horribles bidules, je dis que c’est une erreur monumentale. […] Je refuse de poser un seul doigt sur ces «Alien’s de l’orgue». Il faut aussi être ferme et avoir une position claire à ce sujet. Continuons à défendre le patrimoine extraordinaire des orgues à tuyaux, le travail génial de nos facteurs d’orgue, et saluons tous ceux qui s’engagent à faire vivre le «Roi des Instruments»!
Ab heute ist wieder Dreiband-Billard-Weltmeisterschaft für Nationalmannschaften in Viersen. Ich verfolge die WM schon seit Jahrzehnten, weit bevor ich wußte, einmal in Viersen zu arbeiten. Offensichtlich hatte der weitere Verbleib dieser WM in Viersen auf der Kippe gestanden, was ich sehr bedauert hätte. Mal sehen, inwieweit ich trotz Dienst hingehen kann - eine Dauerkarte habe ich jedenfalls.
Beim Blick auf die Webseite habe ich zunächst „Livestream“ geklickt und einen Moment lang gedacht, das Design der Webseite sei modernisiert worden, aber nein: die frühen Jahre des Internet grüßen mit ihrem ganz eigenen überkommenen Charme.
Es gab heute in St. Remigius ein Konzert mit der Mezzosopranistin Angela Froemer und dem Fagottisten Veit Scholz in der ungewöhnlichen Kombination mit Harmonium. Ein sehr angenehmer Kontakt.
Mich faszinierte der gleichermaßen kreative wie verantwortungsvolle Umgang mit Partituren. Und ich habe mich gefreut, nach langer Zeit Viktor Scholz wiederzusehen.
Heute fand der Werktag für Kirchenmusik 2018 in Aachen statt.
Einige Kolleginnen und Kollegen beklagten die zunehmende Auflösung von Vernetztheit untereinander. Das ist sicher zutreffend, allerdings beschränkte sich - mindestens in der Region - unsere Vernetztheit ohnehin auf nur wenige in dieser Hinsicht aktive Kollegen.
Nachmittags erledigte ich die letzten Vorbereitungen für das Konzert morgen.
Als Kontrapunkt zum mich umgebenden sinnfreien Karnevalstrallala höre ich Renaissancemusik: Josquin, Tallis, Isaac, Senfl, Musik der „prima pratica“. Aus heutiger Sicht geradezu minimalistisch reduziert, und überall Zusammenhang und Bedingtheit der Stimmen untereinander.
Gestern erreichte mich die E-Mail eines befreundeten Kollegen Lateinlehrers mit einer kritischen Anfrage in bezug auf den Titel dieses Konzerts: „Ad alta voce“. Da ist wohl in der lateinischen Grammatik etwas durcheinander geraten!?
Er hätte ja recht, wenn es latein wäre. Dann müsste nach dem „ad“ natürlich der Akkusativ kommen. Es ist aber italienisch.
„Alto“ heißt in diesem Kontext nicht nur „laut“, sondern sowohl „hoch“ als auch „tief“ - daher schien uns der Begriff passend für ein Konzert mit Sopran und Fagott.
Die Remigiuskirche wird zur Renovierung – anders als bisher geplant – doch in diesem Jahr schon geschlossen werden. Daher ist die geplante Konzertreihe im Wesentlichen obsolet: allein die Konzerte am 18. Februar (s.u.) und Palmsonntag werden wie geplant stattfinden können. Ich bin derzeit dabei, für die anderen Konzerte neue Termine zu finden und werde diese rechtzeitig mitteilen.
Gestern hat der Orgelbauer Martin Scholz ein Harmonium in die Kirche geschafft, auf dem ich am Sonntag nächste Woche zusammen mit Angela Froemer, Sopran, und Veit Scholz, Fagott, konzertieren werde. Nun … beim Üben auf dem Instrument erschließt sich mir gleichermaßen die Faszination, die dieses Instrument zur Entstehungs-und Blütezeit auf die Zeitgenossen ausübte, als auch die Gründe für den Untergang. Eine interessante Klanglichkeit, auch und gerade in der Kombination mit Fagott und Gesang bietet es in jedem Fall.
Die Ankündigung des Konzerts (Plakat) wurde von dem Magdeburger Domorganisten Barry Jordan trocken und nicht weniger augenzwinkernd mit „Ich liebe Purcells Musik für Harmonium sehr“ kommentiert, natürlich wissend, daß es diese gar nicht gibt. Er konnte nicht ahnen, daß ich bei diesem Konzert alle der alten Musik zuzurechnenden Stücke selbstverständlich mit der Klop-Truhenorgel und nicht mit dem Harmonium begleiten werde. Dennoch wird es – ganz ohne Werktreuemassaker – natürlich Stücke im Konzert geben, die ursprünglich nicht für Harmonium gedacht waren. Ich halte auch einen kreativen Umgang damit für möglich und sogar historisch legitimiert.
Relevanz von Musik ex negativo: Wohl jeder, der sich mit der Frage einer Ästhetik nach Auschwitz beschäftigt hat, wird bei der heutigen Bundestagsrede der Auschwitz-Überlebenden Anita Lasker-Wallfisch aufgehorcht haben: „Für viele war Musik in dieser Hölle eine absolute Beleidigung.“
Gestern war ich in Köln, und gegen meine Gewohnheit bin ich mit dem Zug gefahren: mir gefällt es bisweilen, nicht auf den Verkehr achten zu müssen. Zugfahrend versuche ich meist, zu lesen. Oft genug aber werde ich stattdessen zum Beobachter.
In dem Viererabteil rechts tuscheln zwei Frauen mit grell rot geschminkten Lippen ungeniert halblaut über die beiden Jugendlichen vor Ihnen, die offensichtlich Schwestern sind. Der älteren Schwester ist dies sichtlich unangenehm, sie wird sichtbar verlegen, ohne etwas gegen die unangenehme Situation unternehmen zu können. Vor mir betreibt eine Karnevalsgruppe auf der Heimfahrt bemerkenswert leise Konversation. Ihre knallbunten Hippiekostüme mit ebensolchen Stirnbändern stehen in krassem Gegensatz zu den geschmeidig vorgetragenen, durchaus sehr konservsativen Positionen, die sie diskutieren. Hinter mir versucht eine wohlmeinende osteuropäische Frau vergeblich, sich durch vorsichtiges Nachfragen und Hilfsangebot um einen ihr gegenüber sitzenden und vor sich hinschluchzenden weiblichen Teenager zu kümmern. Aber dieser schüttelt nur stumm den Kopf, so daß es bis zu seinem Aussteigen unklar bleibt, ob es sich um einen existentiellen Liebeskummer oder gar um etwas Ernstes handelt, das die Tränen verursacht.
Und dennoch, obgleich ich wissend Teil des Ganzen bin und sogar genau so empfinde, ist es bedrückend: das kalte Nebeneinander aller, das Vermeiden von Konversation, Inanspruchnahme oder Verwickeltsein.
Bei der Chorprobe gestern durfte ich gleich drei neue/interessierte Mitglieder begrüßen. Fein!
Ich bin derzeit dabei, das Membra Jesu Nostri-Konzert am Palmsonntag logistisch vorzubereiten. Das macht Spaß, weil sich eine hohe Qualität abzeichnet.
Der kommende Sonntag ist in der Liturgie der katholischen Kirche der „4. Sonntag im Jahreskreis“ mit dem Introitus Laetetur cor. Manches gehört für mich unabdingbar zum Jahresablauf wie Eis essen im Sommer; dieses Stück zu singen empfinde ich als ebenso essentiell.
Gestern war Jahreshauptversammlung des Fördervereins für Kirchenmusik an St. Remigius e.V. Ich bin froh, daß das neue Konzept der Konzerte in St. Remigius, das wir seit drei Jahren erfolgreich betreiben, sich auch in den Besucherzahlen und Konzerteinnahmen positiv niederschlägt.
Fasziniert von diesem Selbstbildnis des Tintoretto, die Augen ohne die üblichen Glanzpunkte. Hell reflektierende Lider, oben auf der linken, unten auf der rechten Seite.
Fortlaufend erreichen mich Anfragen von Künstlern mit der Bitte, in St. Remigius konzertieren zu können. Ihre Anzahl übersteigt bei weitem meine Möglichkeiten, Einladungen auszusprechen. So komfortabel das auch ist: ich bedaure, möglicherweise Kollegen nicht hinreichend würdigen zu können oder auch eine Antwort zu vergessen. Die Konzertreihe 2018 steht fest, und im Jahre 2019 wird es schwierig werden, in der Remigiuskirche Konzerte zu organisieren, da die Kirche wegen einer Renovierung monatelang geschlossen sein wird. Der Förderverein wird den Umgang damit noch diskutieren.
Seit gestern bin ich nach langer Zeit wieder dabei, zu komponieren. Diesmal werden es kleine Kavierstücke werden. Auslöser und Inspiration ist der Mikroroman „Kitsune“ von Sudabe Mohafez - illustriert mit sehenswerten Grafiken von Rittiner & Gomez. Eine erste Skizze dazu ging mir recht schnell von der Hand - mal sehen, was draus wird. Die ästhetischen Probleme, die es bedeutet, heute zu komponieren, erscheinen mir (nach wie vor) erheblich.
Der letzte Weihnachtsgottesdienst ist gesungen, und wie jedes Jahr gibt es im Hause W. ein aromatisches und sinnliches Stelldichein: Eine blutrote, dampfende Flüssigkeit. Männer hocken um sie herum. Der eine, der Älteste, hat in eiserner Zange einen dicken, kristallweißen Klumpen und hält ihn über das Gefäß. Der zweite hat eine verstaubte Flasche in der Hand und gießt eine helle Flüssigkeit über den Klumpen. Der Dritte setzt ihn in Brand. Eine gespenstische blaue Flamme züngelt hoch. Der weiße Klumpen knistert und fängt an zu schmelzen; dicke, zähe Tropfen lösen sich und fallen zischend in die rote Flut. Und ein leiser, betäubender Dunst zieht durch den Raum, steigt ins Gehirn.
Wer losläßt und springt, fällt in die Tiefe, die da ist, nicht nur insoweit er sie selbst ausgelotet hat. Wer sein Menschsein annimmt (ach, das ist unsagbar schwer und es bleibt dunkel, ob wir es wirklich tun), der hat den Menschensohn angenommen, weil in ihm Gott den Menschen angenommen hat.
Karl Rahner, in einem Weihnachtsbeitrag für die ZEIT 1962
Gestern, das Remigiushaus war noch erfüllt von einem den derzeit zahlreich stattfindenden Weihnachtsfeiern geschuldetem Duftgemisch aus Glühwein und Vanille-Waffeln, überkam mich beim Blick auf die zu verwirklichenden Stücke und deren Komponisten während der Instrumentalprobe zur Christmette plötzlich und unverhofft eine Reminiszenz: Arcangelo Corelli ist im Pantheon beigesetzt! Und flugs hing eine Weile statt der nasskalten düsteren Witterung hierzulande der römische Sommer in der Luft: eine flüchtige Assoziation von spätabendlich kühlem Weißwein am unweit des Pantheons gelegenen, die Hitze des Tages konservierenden Campo de‘ Fiori (Ob es im Falle des Falls durch das Loch des Pantheons reinschneit? Eine schnelle Smartphone-Recherche ergab jedenfalls für heute dort nur Sonnenschein).
Heute besuche ich voller dankbarer Gefühle meinen Vorgänger und Regionalkantor a.D. Hans-Wilhelm Hoff zu dessen Geburtstag. Als ich nach Viersen kam, hatte ich nicht ahnen können, in ihm einen derartig gütigen, geduldigen und wohlmeinenden Mentor zu finden.
Weil heute frei ist und das alljährliche Treffen mit meinem Patenkind und Kollegen naht, krame ich später aus dem Instrumentenbestand das von mir sorgfältig gepflegte Rankett wieder hervor. Hoffentlich finde ich noch Zeit, Ansatz und Spiel darauf zu trainieren.
Nachdem mir heute zum dritten Mal jemand gesagt hat, meine Klavierimprovisationen klängen wie diejenigen von Tigran Hamasyan habe ich mir den mal genauer angehört. Das gefällt mir, und ich bedaure heute, daß die Pendelzeiten zwischen meinem Arbeit– und Wohnort nur so kurz sind, ich hätte gerne mehr Zeit, ihn zu hören.
Zeit, die senkrecht steht auf der Richtung vergehender Herzen*: Ich könnte stundenlang an der kleinen italienischen Chororgel der Remigiuskirche Frescobaldi üben. Zurückhaltend, edel und weich und doch präsent: Welch Principale, welch Voce Umana!
Stück für Stück und sehr nüchtern stemme ich die Weihnachtsvorbereitungen mit all ihren eher logistischen Herausforderungen. Dabei stecken mir dieses bewegungsfeindliche Wetter und die Strapazen des letzten Monats noch allzu deutlich in den Knochen. Aber wir sind gut im Plan - trotz der in diesem Jahr ja recht kurzen Adventszeit.
Wie jedes Jahr merke ich, daß die Adventszeit mit ihrem eigenen und von der Weihnachtszeit abweichenden Charakter verlorengeht. Facebook begrüßt mich schon heute erratisch mit: „Die Weihnachtszeit hat begonnen, Thorsten“. Und gleich nach Weihnachten ist dann sicher Karneval? Helau!
Ich hoffe, noch rechtzeitig vor Austellungsende einen Abstecher nach Köln zu Tintoretto im Wallraf-Richartz-Museum zu schaffen.
Drewermann hat es es auf gänzlich anderes bezogen, ich weiß es, aber dennoch: haben meine Kollegen, habe ich eine andere Wahl, als sich alltäglich „der Entstellung, der Gefahr des Mißverstehens und der Gefahr des Mißverstandenwerdens, der Möglichkeit tragischen Irrtums und der Aussicht tragischen Scheiterns, der Peripetie des Schädlichwerdens der besten Absichten […] bis zur Leibhaftigkeit auszusetzen“?